Die Young-Gleichung: Zusammenhang zwischen Materialeigenschaften und Kontaktwinkel
Im statischen Fall mit dem Kontaktwinkel ΘC herrscht ein vektorielles Gleichgewicht zwischen Oberflächenenergie des Festkörpers σS, Oberflächenspannung der Flüssigkeit σL und der fest-flüssig Grenzflächenenergie σSL vor (vgl. Abbildung 2). Dieses Gleichgewicht kommt in der Young-Gleichung zum Ausdruck:
Wobei:
- σL: Oberflächenspannung der Testflüssigkeit
- θC: Kontaktwinkel im Gleichgewicht
- σS: Oberflächenenergie des Festkörpers
- σSL: Grenzflächenenergie zwischen Flüssigkeit und Festkörper
Die Oberflächenenergie des Festkörpers und die Grenzflächenenergie zwischen Festkörper und Flüssigkeit sind in der Regel unbekannt. Misst man allerdings den Kontaktwinkel mehrerer Testflüssigkeiten auf einer Festkörperoberfläche, lässt sich die Oberflächenenergie des Festkörpers mit Hilfe von Modellen bestimmen (siehe: Oberflächenenergie bestimmen). Außerdem sind weitere Untersuchungen der Adhäsionsarbeit möglich.
Kontaktwinkel geben Aufschluss über Benetzung des Festkörpers
Die Messung des Kontaktwinkels einer Flüssigkeit auf einem Festkörper gibt Aufschluss über das Benetzungsverhalten dieser Kombination. Das angestrebte Benetzungsverhalten ist von dem jeweiligen Anwendungsfall abhängig.
Bei einem Kontaktwinkel von 0° ist der Tropfen vollständig auf der Festkörperoberfläche ausgebreitet oder gespreitet. Der Tropfen bildet einen dünnen, manchmal monomolekularen Flüssigkeitsfilm auf der festen Oberfläche. In diesem Fall spricht man von vollständiger Benetzung. Bei einem Kontaktwinkel von 180° liegt der Tropfen kugelförmig zusammengezogen auf der Oberfläche auf und berührt den Festkörper nur an einem Punkt. In diesem Fall spricht man von vollständiger Entnetzung.
In der Praxis liegt der Kontaktwinkel meist zwischen diesen beiden Extremwerten. Festkörperoberflächen, auf denen sich ein Kontaktwinkel ΘC kleiner als 90° ausbildetet, werden gemeinhin als gut benetzbar beschrieben. Höhere Kontaktwinkel deuten darauf hin, dass eine Oberfläche kaum oder gar nicht benetzbar ist.
Eines der anschaulichsten Beispiele für besonders hohe Kontaktwinkel finden wir in der Natur: Auf den Blättern der Lotospflanze perlen Wassertropfen ab. Es findet keine Benetzung statt und der Kontaktwinkel ist entsprechend hoch. Weil die abperlenden Tropfen Schmutzpartikel abtransportieren, kommt es zu einem Selbstreinigungseffekt der Blätter. In vielen technischen Bereichen versucht man heute diesen Lotus-Effekt nachzuempfinden: selbstreinigende Fassaden, Keramik und Fensterglas sind Beispiele für solch technische Entwicklungen. Unverzichtbar ist bei der Entwicklung solcher Produkte die Kontaktwinkelmessung.
Kontaktwinkelmessungen sind die Basis vieler Standards und Normen, welche Benetzungscharakteristiken beschreiben. Eine umfangreiche Liste der Normen findet sich hier.
Anwendungsbeispiele für Kontaktwinkelmessungen
Die Messung des Kontaktwinkels bietet sich immer dann an, wenn Festkörper und Flüssigkeiten aufeinandertreffen und wenn Benetzungs- und Haftungseigenschaften kontrolliert oder verändert werden. Die Anwendungsfelder sind dementsprechend vielfältig. Wichtige Beispiele sind:
- Oberflächenbeschichtungen: Messung des Kontaktwinkels auf beschichteten Materialien, um die Qualität und Gleichmäßigkeit der Beschichtung zu bewerten.
- Lackier- und Druckindustrie: Bewertung der Benetzbarkeit von Farben, Lacken und Druckfarben auf verschiedenen Substraten.
- Textilindustrie: Ermittlung der Benetzbarkeit von Textilfasern, um die Qualität von Textilbehandlungen, wie Imprägnierung oder Entwässerung, zu überprüfen.
- Medizinische Geräte: Charakterisierung der Benetzbarkeit von medizinischen Implantaten, um deren biokompatibles Verhalten zu beurteilen.
- Lebensmittelindustrie: Bewertung der Benetzbarkeit von Verpackungsmaterialien, um die Bedruckbarkeit sicherzustellen und Lagereigenschaften zu verbessern
- Halbleiterindustrie: Kontrolle der Benetzbarkeit auf Oberflächen von Halbleiterchips und -substraten für die Herstellung von Mikrochips.
- Umweltwissenschaften:Messung des Kontaktwinkels auf Blattoberflächen von Pflanzen zur Untersuchung der Selbstreinigungseffekte und der Wasserverteilung.
- Nanotechnologie: Charakterisierung der Benetzbarkeit von Nanomaterialien und Nanopartikeln, um deren Eigenschaften in verschiedenen Anwendungen zu optimieren.
- Öl- und Gasindustrie: Beurteilung der Benetzbarkeit von Gesteinsoberflächen, um das Verhalten von Öl- und Gasreservoiren besser zu verstehen.
- Reinigungs- und Entfettungsprozesse: Bewertung der Effizienz von Reinigungs- und Entfettungsmitteln auf verschiedenen Oberflächen, um die Wirksamkeit zu optimieren.